Hexenprozesse in Kurmainz

Analyse: Der Scharlachrote Buchstabe

Historischer Hintergrund: Neuengland im 17. Jahrhundert

Der Film „Der Scharlachrote Buchstabe“ des Regisseurs Roland Joffé, basierend auf der Buchvorlage The Scarlett Letter von Nathaniel Hawthorne, spielt im Neuengland des 17.Jahrhunderts. Um die Geschehnisse im Film zu verstehen, soll im Folgenden eine historische Einordnung vorgenommen werden. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Siedlungsgeschichte der Region mit Hinblick auf die religiöse Ausrichtung der Siedler.[Anm. 1]

Ausgangspunkt bildet die Landung der „Mayflower“ an der Küste des späteren Massachusetts im November 1620, an Bord die pilgrim fathers. Die aus England stammenden Puritaner[Anm. 2] bildeten die erste überwiegend religiös motivierte Siedlung in der neuen Welt, welche sie als Chance sahen, das biblische Jerusalem nach ihren Vorstellungen wieder aufzubauen. Noch an Bord des Segelschiffes schlossen sie den „Mayflower Compact“ ab, der die Gründung einer gemeinsamen Kirchengemeinde, der „Plymouth Plantation“, beinhaltete. Obwohl die Siedlung um 1630 nur 300 Einwohner hatte, war sie der Beweis dafür, dass auch im nördlicheren Amerika die klimatischen Bedingungen für eine Besiedelung gegeben waren und weckte das Interesse der Glaubensbrüder in England. Als die Akzeptanz des puritanischen Glaubens unter König Charles Stuart I. abnahm, bereitete eine Gruppe von gebildeten Puritanern und Kaufleuten die erste Großauswanderung nach Nordamerika vor, indem sie die Massachusetts Bay Company gründeten. So segelten im Jahre 1630 über 1000 Menschen, überwiegend puritanische Familien, nach Neuengland. Bis 1640 folgten weitere 18.000[Anm. 3] englische Siedler, wodurch an der Küste von Massachusetts dutzende kleiner Gemeinden entstanden. Die Hauptsiedlung bildete Boston, das Symbol für die puritanische Vorstellung der „City upon the Hill“. Hester Prynne, fiktive Hauptperson im Film „Der Scharlachrote Buchstabe“ (dargestellt von der Schauspielerin Demi Moore), trifft ebenfalls, wenn auch erst 1666, als neue puritanische Siedlerin in Boston ein, um ihren Glauben frei ausleben zu können, und verliebt sich in den Puritanerpriester Reverend Arthur Dimmesdale.

Obwohl die strenggläubigen Calvinisten nicht die asketische Lebensweise der späteren Puritaner führten, wurden Tugenden wie Gottesfurcht, Fleiß, Rechtschaffenheit und Bescheidenheit groß geschrieben. Die puritanische Haltung bezüglich der einfachen und gottesfürchtigen Lebensweise wird im Film beispielsweise darin deutlich, dass Hester Prynne zu Beginn ihres Aufenthaltes von einem Priester darauf aufmerksam gemacht wird, dass sie zu viel Spitze in ihrer Kleidung trage. Aufgrund jener Glaubensstrenge waren die Puritaner häufig intolerant gegenüber Andersgläubigen, obwohl sie selbst die mangelnde Toleranz gegenüber ihrer religiösen Gemeinschaft durch die anglikanische Kirche in England erlebt hatten.

Den Höhepunkt jener puritanischen Intoleranz in Massachusetts bildeten die Quäkerverfolgung von 1659-61, im Zuge derer vier Missionare erhängt wurden, sowie die Hexenprozesse von Salem im Jahre 1692. Die problematische Haltung gegenüber den Quäkern wird im Film ebenfalls deutlich, da Hester Prynne von der Gemeinde kritisch beäugt wird, als sie sich trotz ihrer puritanischen Herkunft mit einer Quäkerin und anderen Außenseiterinnen anfreundet. Die religiösen Vorstellungen jener Glaubensgemeinschaft werden durch einen Dialog der Frauen, darunter eine Quäkerin, kurz angeschnitten. Wenngleich nicht die Hexenprozesse von Salem im Film auftauchen, ist die Hexenverfolgung ein zentrales Thema des Films. Obwohl in der Literatur häufig nicht von anderen Hexenprozessen als dem von Salem die Rede ist, gab es nicht nur diesen einen Fall von Hexenverfolgung in Neuengland[Anm. 4]. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass der im Film umgesetzte Fall ein nach Hawthornes Buchvorlage fiktiver Hexenprozess ist, der nicht direkt auf einer historischen Begebenheit beruht. Interessant sind dennoch die Verbindungen zur Salem „witch-hunt“. Zum Einen sollte erwähnt werden, dass ein direkter Vorfahre des im 18.Jahrhundert lebenden Nathaniel Hawthorne, nämlich John Hathorne, einer der Magistrate der Provinzregierung und Bürger von Salem war, und im Zuge dessen an den Hexenprozessen direkt beteiligt war.[Anm. 5] Zum Anderen spielte die afrikanischstämmige Sklavin Tituba[Anm. 6] eine zentrale Rolle im Salem-Pozess. Die Namensähnlichkeit dieser historischen Persönlichkeit mit der fiktiven Rolle von Hester Prymms Sklavin Mituba, die als Zeugin aussagen soll, dann jedoch am Prozesstag tragisch zu Tode kommt, könnte möglicherweise nicht zufällig zustande gekommen sein.

Eine weitere historische Tatsache, die in der filmischen Umsetzung beleuchtet wird, sind die Probleme mit den Indianern. Wie in der Eingagszene des Films dokumentiert, überstand die junge Kolonie nur Dank der Hilfe der Indianer die harten Anfangsjahre. Im Zuge der Westausbreitung der Siedler, und aufgrund der vielen Todesfällen bei den Indianern, die auf von den Siedlern eingeschleppte Krankheiten zurückzuführen sind, schlug das anfangs auf gegenseitiger Toleranz und Tauschhandel beruhende Verhältnis schnell um. Vor allem der Stamm der Wampanoags widersetzte sich der Ausbreitung der Europäer und griff im Zuge dessen mehrere Siedlungen an, wobei über 600 Engländer zu Tode kamen. Einer dieser Angriffe wird in „Der Scharlachrote Buchstabe“ dargestellt. Die Auseinandersetzungen gipfelten schließlich im „King Philipp's War“ von 1676, wobei die Puritanermiliz sämtliche Dörfer und mit ihnen die Bewohner des Indianerstammes vernichtete. Der Indianerhäuptling Metacom, welcher später den Beinamen „King Philipp“ erhält, wir zu Beginn des Films im Dialog mit Arthur Dimmsdale und anderen Stadtoberhäuptern der Puritanern bei der Beerdigung seines Vaters Massasoit gezeigt, welcher als ehemaliger Verbündeter der Siedler beschrieben wird, was den historischen Tatsachen entspricht[Anm. 7]. Ebenfalls beiläufig wird im Film thematisiert, dass Indianer Geiseln unter den Siedlern nahmen und diese verschleppten. Eines der berühmtesten Opfer, vor allem wegen ihrer späteren literarischen Verarbeitung der Erlebnisse während der Gefangenschaft, war Mary Rowlandson[Anm. 8]. Diese tatsächliche historische Persönlichkeit taucht sogar als Nebendarstellerin im Film auf, während die meisten anderen Charaktere fiktiv sind.

Insgesamt lässt sich erkennen, dass zwar viele historische Begebenheiten in den Film mit einfließen. Diese werden jedoch aus meiner Sicht lediglich sehr oberflächlich behandelt oder nur kurz angeschnitten. Durch die versuchte Verschmelzung des fiktiven Stoffes mit den tatsächlichen Begebenheiten im Neuengland des 17. Jahrhunderts wird nicht deutlich, was an tatsächlichem historischen Begebenheiten und was auf Fiktion beruht. Auch der Versuch, nicht nur die Hexenprozesse, sondern auch die Quäker und Indianer mit in den Film „einzubauen“, und die Vermischung von fiktiven und tatsächlichen historischen Persönlichkeiten machen den Film hinsichtlich der historischen Fakten unübersichtlich und als Historienfilm unbrauchbar. Außerdem dominiert die Liebesgeschichte zwischen Hester Prymm und dem Priester Arthur Dimmsdale stark den Handlungsverlauf, wodurch die Fülle an historischem Material noch einmal mehr in den Hintergrund rückt. Er sollte deshalb lediglich als Literaturverfilmung gesehen werden, was auch in erster Linie sein Anspruch ist.

Die filmische Umsetzung

Im Film „Der scharlachrote Buchstabe“ wird die Geschichte der Hester Prynne nacherzählt. Ihre Tochter Pearl beschreibt die Liebesgeschichte und die Anklage als Hexe aus dem Off. Die Geschichte legt den Schwerpunkt der Erzählung auf die Liebesgeschichte zwischen Hester Prynne und Arthur Dimmesdale. Es wird gezeigt wie sie sich kennen lernten und wie sie ein Paar wurden. Anders als im Buch, in dem der Priester getötet wird, gibt es ein Happy End, dass die Hauptdarstellerin Demi Moore damit erklärt, dass eigentlich kaum einer das Buch kennt.[Anm. 9] Während im Buch kaum von Hester als Hexe oder der Hexenanklage gesprochen wird, liegt im Film ein weiterer Schwerpunkt darauf. Hester Prynne wird als selbstbewusste und starke Frau dargestellt, die ihren Weg geht, auch wenn dies Widerstände der alteingesessenen Puritaner zur Folge hat. Beide Veränderungen sind wahrscheinlich bedingt durch die Popularität der beiden Hauptdarsteller Demi Moore und Gary Oldman.

Die Szene „Die Zeichen“ beginnt mit der Nahaufnahme des Roger Chillingworth. Durch Gegenschnitte werden die Reaktionen der beiden anwesenden Räte gezeigt. Zwischendurch wird in einer Halbtotale das Amtszimmer präsentiert. Während des Gespräches von Chillingswoth und einem der Räte ist der Hintergrund nur unscharf zu sehen, da die Betonung auf dem Gesprochenem liegt und nicht in der Reaktion des hinteren Mannes. Nachdem dramatisch von den Zeichen, die zu einem Krieg mit den Indianern führen könnten, erzählt wurde, setzt die Musik leise und dezent, aber mit Akzentuierung ein, um das Bedrohliche des Gesagten zu verdeutlichen. Am Ende wird auf den mittleren Mann gezoomt, um auf die dramatische Weiterentwicklung aufmerksam zu machen.

In der Szene „Der Prozess“ wird zu Beginn in einer Halbtotale der Gerichtssaal gezeigt, in dem sich Harriet Hibbons rechtfertigen muss. Ihr folgt die Kamera beim Reden. In Gegenschnitten und ihrem ironischen Unterton soll die Lächerlichkeit der Anklage aufgezeigt werden. Beim Betreten des Amtsdieners folgt die Kamera diesem, um einen Einschnitt im Prozessverlauf mit der Verkündigung des Todes der Zeugin Mituba zu bewirken. Die Personen, die sprechen, werden meist in Nah- oder Großaufnahme gezeigt. Die Hauptpersonen sieht man auch, wenn andere reden, damit ihre Reaktionen auf das Gesagte veranschaulicht werden und der dramatische Fortgang der Verhandlungen verdeutlicht wird. Nachdem die tote Sklavin enthüllt wird, wird es im Gerichtsaal lauter und die Frauen werden hysterischer. Durch die Anklage der Hester Prynne, dass dies Mord und kein Teufelswerk sei, entsteht Unruhe im Saal. Daher zeigt die Kamera das Gerichtszimmer in der Totale, um die verschiedenen Parteien zu zeigen, wie sie darauf reagieren. Die schreienden Frauen werden in der Halbtotale präsentiert, um darzustellen, woher die Anklage kommt. Bei den Gesprächen im Vordergrund wird der Hintergrund wieder unscharf, um sich auf das Wesentlich zu konzentrieren. Mit dem Zeigen des Satanskindes setzt die Musik verstärkt ein, um die Szenen noch dramatischer zu machen. Am Ende der Szene im Gerichtssaal ist die Kamera direkt unter den handelnden Personen, damit deren Verzweiflung und Beschuldigungen hautnah erlebt werden können. Die Szenen enden mit dem Wegfahren des Governors, der mit lautem und schnellem Reden die Pferde zum Galopp antreibt. In dem Gespräch mit Dimmesdale wird der weitere Verlauf weiter angezeigt.

 

Julia Schardt, Silke Karl

Literatur

  • Adams, Willi Paul: Die USA vor 1900. München 2000 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte Bd.28).
  • Boyer, Paul S. [u.a.]: The Enduring Vision. A History of the American People. Boston, New York 42000.
  • Goetsch, Paul: Thesen zum Vergleich von literarischen Werken und ihren Verfilmungen. In: Weber, Alfred/Friedl, Bettina (Hrsg.): Film und Literatur in Amerika. Darmstadt 1988. S. 45-64.
  • Hall, David D.: Witchhunting in Seventeenth-Century New England. A Documentary History, 1638-1692. Boston 1991.
  • Heideking, Jürgen: Geschichte der USA. Tübingen, Basel 1996.
  • Middleton, Richard: Colonial America. A History, 1585-1776. Oxford, Cambridge (MA) ²1996.
  • Paech, Joachim: Der literarische Film. In: ders.: Literatur und Film. Stuttgart 1988. (Realien zur Literatur Bd. 235) S. 85-103.
  • Schmidt, Johann N.: Bildersprache: Über die Problematik von Literaturverfilmungen. In: Weber, Alfred/Friedl, Bettina (Hrsg.): Film und Literatur in Amerika. Darmstadt 1988. S. 21-44.
  • Schneider, Irmela: Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung. Tübingen 1981. (Medien in Forschung und Unterricht, Serie A, Bd. 4)
  • Weber, Alfred: Film und Literatur in Amerika. Eine Einführung. In: Weber, Alfred/Friedl, Bettina (Hrsg.): Film und Literatur in Amerika. Darmstadt 1988. S.1-19. www.imdb.com/title/tt0114345/trivia. [29.08.2006]

Anmerkungen:

  1. Die folgenden Ausführungen basieren vor allem auf Adams, Die USA vor 1900, S.18-29; Middleton, Colonial America, S.73-99 und Heideking, Geschichte der USA, S.9-14. Zurück
  2. Bei Heideking und Middleton wird, anders als bei Adams zwischen den frühen Pilgrims und den späteren Puritanern hinsichtlich der religiösen Strenge unterschieden. Eine nähere Beleuchtung des Unterschieds ist jedoch für den weiteren Vergleich der historischen Gegebenheiten mit der filmischen Umsetzung derselben zu vernachlässigen. Zurück
  3. Zahl basierend auf Adams, Die USA vor 1900, S. 26f; bei Heideking ist von 20.000 Siedlern bis 1640 die Rede, während die Gruppe von 1630 ebenda mit nur 900 Puritanern beziffert wird. Zurück
  4. Die Rede ist hier von Adams, Die USA vor 1900; Middleton, Colonial America; Heideking, Geschichte der USA und Boyer [u.a.], The Enduring Vision, welche allesamt nur den Hexenprozess von Salem erwähnen. Lediglich Hall, Witch-hunting in 17th century New England, dokumentiert neben dem Salem-Prozess 18 weitere Fälle von Hexenverfolgung in Neuengland. Zurück
  5. Vgl. Hall, Witch-hunting in 17th century New England, S. 290, Fußnote 6. Zurück
  6. Vgl. Boyer, The Enduring Vision, S. 59. Zurück
  7. Vgl. Boyer [u.a.], The Enduring Vision, S.58. Zurück
  8. Siehe Rowlandson, Mary W.: A true History of the Captivity and Restoration of Mrs. Mary Rowlandson. New York [u.a.] 1977. Zurück
  9. Vgl. www.imdb.com/title/tt0114345/trivia. Zurück
 
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