Hexenprozesse in Kurmainz

Hexenverfolgung in Hessen-Darmstadt unter Landgraf Georg

Verfolgung von Kindern am Ende des 16. Jahrhunderts

Im Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen wurden in den hundert Jahren zwischen 1580 und 1680 um die 1800 Menschen der Hexerei angeklagt und die meisten auch hingerichtet. In dieser Zahl sind auch die Dieburger Fälle enthalten, da das Gebiet in der Frühen Neuzeit noch zu Kurmainz gehörte. Ein besonderer Fall, der in die Zeit der ersten Verfolgungen datiert und in vielerlei Hinsicht besonders bemerkenswert ist, wurde von Dr. Thomas Lange aufgegriffen und untersucht. Es handelt sich um die Anklage gegen die beiden Jugendlichen Wolf Weber (11) und Anne aus Dreieich (16) in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt 1582.Der Fall ist dokumentiert durch den Briefwechsel der Brüder und Landgrafen Georg I. von Hessen-Darmstadt (1567-1596) und Wilhelm IV. von Hessen-Kassel (1567-1592). Beide sind Söhne des 1567 verstorbenen Landgrafen Philipp des Großmütigen (1518-67). Philipp legte bei den an ihn herangetragenen Hexenfällen eine große Zurückhaltung an den Tag, weswegen in seine Regierungszeit kaum Hinrichtungen von Hexen oder Hexern fallen.      

Dennoch hatte Philipp bereits 1535 in der 'Hessischen Halsgerichtsordnung in peinlichen Sachen‘ die in der 'Constitutio Criminalis Carolina‘ (CCC) von 1529/32 niedergelegten Bestimmungen zur Zauberei übernommen und damit das Fundament für die Hexenverfolgung und Aburteilung der Verdächtigen in seinem Territorium und den vier hessischen Nachfolgeterritorien gelegt. Sein Sohn Georg von Hessen- Darmstadt folgte im Gegensatz zu seinen Brüdern nicht der vom Vater geübten Zurückhaltung und wandte sich mit größerem Eifer und offenkundiger Überzeugung der Thematik zu. Offenbar hatte er sich auch mit der zeitgenössischen Literatur über das Hexenwesen beschäftigt (vgl. Lange, 6)In seiner Regierungszeit wurden 37 Menschen als Hexer und Hexen gerichtet. In einem Briefwechsel vom Juli 1582 berichtet er seinem Bruder, dem Landgrafen von Hessen-Kassel, über die der Hexerei angeklagten Jugendlichen Wolf und Anne, wodurch wir von dem Fall Kenntnis erhalten. Eine bereits im Frühjahr 1582 mit anderen Frauen als Zauberin hingerichtete Weberin hatte angeblich ihrer schwangeren Tochter Sara geholfen, ihren Mann zu ermorden. Zudem habe sie, so lautete der Vorwurf, einem gewissen Konrad Ballaß beigestanden, seine Frau zu vergiften. Mit diesem waren beide Töchter zuvor verkuppelt worden. Diese Mordfälle erschienen der Obrigkeit nun im Licht der Hexerei, da die hingerichtete Weberin zuvor gestanden hatte, eine Zauberin zu sein und auch ihre 5 Kinder in dieser Hinsicht belastete.Hier nun beginnt die Geschichte des jüngsten ihrer Söhne, Wolf. Er hatte seiner Schwester eine Feile in die Haft gebracht und ihr so zur Flucht verholfen. Festgenommen, gestand er nach Prügel, aber nicht unter dem Eindruck „bewusstseinstötende(r) Folter“, (Lange, 2) eine detail- und umfangreiche Verwicklung in die 'Umtriebe' seiner Mutter und belastete dabei auch die jugendliche Anne, eine Waise aus Dreieich, die daraufhin verhaftet wird. Dass die kaiserliche Halsgerichtsordnung (CCC) im Falle jugendlicher Angeklagter von der Folter absah, wird in dem Briefwechsel seitens Georg von Hessen-Darmstadt an seinen Bruder ausdrücklich geäußert (vgl. Lange 3). Wolfs Aussagen, die er später auch ohne physischen Druck erneuert und ausführlich gestaltet, führen in einen „Kosmos von Volksmagie“ (Lange, 8) ein. Ebenso interessant sind die Aussagen der älteren Anne, die von der 'Buhlschaft' mit dem Teufel berichtet und nüchterner geartet sind als die Wolfens. Nach der Denunziation Annes durch Wolf geben beide keine weiteren Personen mehr an, so dass die Gemeinschaft von weiteren Anklagen in diesem Fall verschont bleibt.

Wolf, der bekennt, mit einem Teufel (im Sinne von Buhlteufel, Dämon) „Fedderwisch“ verbunden zu sein, erzählt von den Hexenversammlungen am Grießheimer Brunnen, zu denen ihn seine Mutter mitgenommen habe. Die wunderliche Fahrt mit einer unbespannten Kutsche, die seiner Mutter samt zwei anderen namentlich bekannten Hexen als Fahrtzeug gedient habe, geht für den 11jährigen so unwirklich schnell vorüber, dass dieser angibt, sich kaum daran erinnern zu können. Wolf trifft hier erstmalig den bereits erwähnten „Fedderwisch“, der „als schwartzer Bub“ auf ihn zugekommen sei. Den Handschlag mit dem Teufel verweigert er zunächst. Er gibt aber an, dann von der Mutter gezwungen worden zu sein, seine linke Hand in des „Teuffelsschlotzen“ zu legen. Mit dieser Handlung, so habe ihm der Teufel gesagt, sei der Pakt nunmehr besiegelt. Den Teufel beschreibt den gängigen Vorstellungen entsprechend, nämlich als kalt, schwarz, groß und klauenbewehrt, der vierfüßig aufrecht geht und über andere (kleinere) Teufel gebietet.Mit dieser Aussage hatte Wolf eine weitere den Hexenbegriff konstituierende Handlung (nach Teilnahme an einer Hexenversammlung) zugegeben: den Pakt mit dem Teufel. Dieser bestehe fortan „Dreißig Jar“ und würde ihm Kleidung („lundisch kleidt“) und ausreichend Nahrung bescheren.

Seine Angaben zu einer weiteren Hexenversammlung, deren Ort er nicht genauer angeben kann, beschreiben den Tanz von 6 Teufeln und weiteren 10 Personen, darunter ein „langer schwarzer Pfaff mit einem schwarzen Manttel“. Sein Begleiter „Fedderwisch“ habe ihm zu anderer Gelegenheit Methoden der Zauberei gelehrt, so das „Katzenmachen“, bei dem ein Trank aus verfaultem Obst und das Laub bestimmter Pflanzen wie die des „Teufelsbeer“ herzustellen sei. Wolfs Aussagen besitzen nur dort einen realen Bezug, wo er von kleineren Diebstählen seiner Schwester Dorothea berichtet, die in „Frannkfurth“ Decken und einen Korb gestohlen habe.Zum einen „Wohlstands-Fantasien“ (Lange, 8) zum anderen ältere Überlieferung - insbesondere in Rücksicht auf die von Wolf zu Protokoll gegebene Beschreibung des Teufels als bocksgestaltig - könnten hinter den Aussagen Wolf Webers stehen. Lange stellt hier den Bezug zu den überlieferten Vorstellungen des Germanengottes Wotan (nord. Odin), z.B. in der 'Deutschen Mythologie' (1833) des Hessen Jacob Grimm (1785-1863) her. (Lange, 8).    

 Lange weist zudem darauf hin, dass Wolf keinerlei Schadenszauber angibt, sondern als strafrechtlich relevante Tat nur den Teufelspakt und Buhlschaft, die als gotteslästerliche Akte gewertet wurden und offenbar Grundlage der von Landesherr Georg wenig später angeordneten Hinrichtung des Kindes gewesen waren. Seine genauen Beweggründe ein 'Exempel zu statuieren', sind nicht mehr greifbar und dennoch erhellt der Fall des Wolf Weber das Denken und Wirken der Obrigkeit angesichts eines solchen, vergleichsweise außergewöhnlichen Falles. Georg, der sich in einem späteren Brief auf beratende Gelehrte und 'Sachkundige' beruft und Willkür von sich weist, scheinen „Misstrauen und Kontrollwille“ (Lange, 11) zur Hinrichtung veranlasst haben, da er – wie die verhörenden Amtmänner – noch mehr an 'Hexerei' (und möglicherweise doch Schadenszauber) hinter der Aussage Wolfs vermutet.Von weiteren Prozesse in Hessen-Darmstadt erfahren wir nichts mehr. So gab es zwar während der Prozesse in Dieburg 1627-29 einen Briefwechsel zwischen den Herrschern, ohne dass es aber in Darmstadt zu Verfolgung gekommen wäre. Es zeigt sich daran einmal der Einfluss der Obrigkeit und zudem, wie das Verlangen aus der Bevölkerung kam.Für Lange zeichnet dieser Fall, indem sich kriminelle Tatbestände (Diebstahl, Ausbruch, Mord) mit denen der 'Hexerei' verbinden, den Gegensatz zwischen der von Georg repräsentierten „Elitenkultur“ (Lange, 11) und der durch das Geständnis Wolfens offenbar werdenden „Volkskultur“ (Lange, 11), am „Rande der frühbürgerlichen Gesellschaft“ (Lange, 11) auf, in der Kuppelei, Mord und Diebstahl als Ausdruck gestörter zwischenmenschlicher Beziehungen zum Alltag gehören.

Nachweise

Verfasser: Joachim Paul

Literatur: Die dem Aufsatz zugrunde liegende Quelle mit Analyse in: Thomas Lange: Wolf Weber, 11 Jahre, Anne aus Dreieich, 16 Jahre – hingerichtet im August 1582 in Darmstadt. Zwei exemplarische Quellen zur Hexenverfolgung (mit Transkription: Urgicht und Bekandtnus der alten Weberin / Der Dreieicherin gütlich Bekenntnis / Landgraf Georg I. von Hessen), in zeitenblicke 1 (2002), Nr. 1 (08.07.2002). URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/lange/lange.html .

 
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