Hexenprozesse in Kurmainz

Dieburg – Stadtgeschichte und Hexenprozesse

0.1.Dieburger Stadtgeschichte

Rekonstruktion von Dieburg um 1600. Kollorierte Zeichnung. Ludolf Pelizaeus

Dieburgs Geschichte beginnt mit den Römern. Schon um die Zeitenwende waren die rechtsrheinischen Gebiete in das Blickfeld der römischen Eroberungspolitik gekommen, aber es sollte noch bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts dauern, bis die "Agri Decumates", also das Gebiet zwischen Rhein, Main und Donau vollständig unter römischer Hoheit standen. Um das Jahr 120 n. Chr. herum gründeten die Römer am Schnittpunkt mehrerer Verkehrswege eine Zivilsiedlung als Haupt- und Verwaltungsort der Civitas Auderiensium, die Dieburger Vorgängersiedlung. Um 260 n. Chr. gaben die Römer den Limes, also die Militärgrenze zum "freien Germanien" auf. Damit endete auch die Römische Stadtsiedlung in Dieburg. Erst in fränkisch-merowingischer Zeit ist im Stadtgebiet wieder eine Besiedlung erschließbar.

Im 8. Jahrhundert gab es im Bereich des ehemaligen römischen Forums ein fränkisches Königsgut, gemeinsam mit einer Pfarrkirche. Dazu gehörten drei Dorfsiedlungen, die später zu Vorstädten von Dieburg im Mittelalter wurden. Noch vor 1200 gründeten staufische Ministeriale aus dem Umkreis der Herren von Hagen-Münzenberg westlich des römischen Siedlungsgebietes in den Sumpfniederungen der Gersprenz eine Burg, parallel dazu entstand als Neugründung die königsnahe Siedlung Dieburg. König Rudolf von Habsburg verlieh 1277 erweiterte Stadtrechte. Nach dem Aussterben der Herren von Münzenberg 1255 erwarben die Erzbischöfe von Mainz bis 1310 Stadt und Burg. Dieburg wurde so zum Sitz eines Kurmainzer Amts.

Als mittelalterliche Stadtsiedlung des Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz war Dieburg Sitz eines Amtmanns und eines Kellers. Ratsherrn und zwei gewählte Bürgermeister standen dem städtischen Gemeinwesen vor. Dieburg lag verkehrsgünstig an mehreren Geleitswegen zwischen Rhein und Main, das Töpferhandwerk erlebte im 14. und 15. Jahrhundert eine ungeahnte Blüte. Drei privilegierte Jahrmärkte und ein Wochenmarkt wurden hier gehalten, seit 1349 gehörte die Stadt zum "Neun-Städte-Bund" des Mainzer Oberstifts. Von der Wirtschaftskraft der Stadt zeugen auch die Ansiedlung von Minoriten und Beginen und die Errichtung eines geistlichen Halbstifts an der Pfarrkirche.

Ende des 16. Jahrhunderts begann ein wirtschaftlicher Niedergang. Das Töpferhandwerk geriet durch auswärtige Konkurrenz und zu viele örtliche Kleinbetriebe unter Druck. Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs verstärkten die Krise. Kurzfristig kamen Stadt und Amt sogar unter die Verwaltung eines von den Schweden eingesetzten neuen Stadtherrn. Erst nach Kriegsende begann eine von Kurmainz betriebene Reorganisation. Umgeben von evangelischen Territorien, war Dieburg eine katholische Enklave. Mit der Förderung einer Wallfahrt zu einem spätgotischen Vesperbild, der "Schmerzhaften Mutter Gottes", stärkten die Mainzer Erzbischöfe ihren konfessionellen Anspruch. Außerdem siedelten sie einen Kapuzinerkonvent an. Dieburger Adelsfamilien, die im Dienste der Kurfürsten oder anderer Territorialherrn standen, richteten sich im späten 17. Jahrhundert repräsentative Schlossbauten in Dieburg ein. Mit dem Schlosspark der Freiherrn von Groschlag entstand im späten 18. Jahrhundert sogar eine der ersten Gartenanlagen im englischen Stil in Deutschland.

1803 wurde Dieburg nach der Säkularisation der geistlichen Fürstentümer Hessen-Darmstädter Amtsstadt. Kreisstadt blieb Dieburg bis zur Gebietsreform 1974. Heute beherbergt Dieburg einen Standort der Fachhochschule Darmstadt und ist mit seinen knapp 15000 Einwohnern als regionales Mittelzentrum ausgewiesen.

0.1.1.Dieburg im Dreißigjährigen Krieg

Am 28. Mai 1622 - nach protestantischem Kalender - überfiel Graf Ernst von Mansfeld, ein protestantischer Heerführer, Dieburg, um nach eigener Aussage „den Dieburger Pfaffen die Röcke auszuziehen“. Rat und Bürger lehnten die von Mansfeld geforderte Übergabe der Stadt ab. Mansfeld brach nach zwei vergeblichen Sturmversuchen die Belagerung ab, brandschatzte aber die ungeschützten und menschenverlassenen Dieburger Vorstädte. Das ganze übrige Jahr 1622 war bayrisches Fußvolk und spanische Reiterei in Dieburg einquartiert, da General Tilly der katholischen Liga die Schlacht bei Höchst gewann und das Rhein-Main Gebiet besetzen ließ. Der starke Rückgang der Steuerzahler von 370 im Jahre 1621 auf 306 im Jahre 1624 spricht dafür, dass 1622/23 die Pest ausgebrochen war.

Der zweite Einbruch der Bevölkerung um 1629 resultiert aus der Hexenverfolgung.

Nachdem Tilly 1631 bei Breitenfeld eine vernichtende Niederlage erlitten hatte, forderten die Schweden die Übergabe Dieburgs. Es folgten Belagerung und Eroberung. Die Zahl der Steuerzahler ging von 1631 von 380 bis 1632 auf 320 zurück. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen, entspricht das einem Rückgang von etwa 250 Personen. Die 13 Dieburger Bäcker wurden auf 4 reduziert. Daraus lässt sich erkennen, dass zahlreiche Einwohner die schwedische Besatzung nicht überlebten. Wegen fehlender Archivbelege kann jedoch nicht geklärt werden, ob sie direkte Kriegsopfer oder Opfer der Pest wurden, welche die Besatzer einschleppten. Dieburg blieb schwedisch besetzt, bis König Gustav Adolf 1632 seinem Bundesgenossen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, Dieburg vermachte. Dieser verließ Dieburg nach zwei Jahren. Kurz darauf blockierte der schwedische Obrist v. Rosa die Stadt. Diese Blockade musste aber wegen der herannahenden kaiserlichen Truppen abgebrochen werden.

Bis 1636 nahm die Bevölkerung durch Hunger, Kälte und Pest ab, wobei der Winter 1634 extrem kalt war.

Zwischen 1641 und 1644 litt Dieburg unter den ständigen Einquartierungen und den Truppendurchzügen. Der Verlust der über 300 Personen war vermutlich der durch die einquartierten Soldaten eingeschleppten Pest zuzuschreiben.

Erst 1648, kurz vor Kriegsende, war Dieburg wieder direkt vom Krieg betroffen. Montecuculi nämlich, ein kaiserlicher General, verschaffte sich Eintritt in der Stadt.

1648, nach Beendigung des Krieges, war das einst blühende Dieburg halb verfallen, seine Bevölkerung dezimiert und seine Schuldenlast ins Ungeheure gestiegen. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis sich die Stadt wieder von diesen Ereignissen erholt hatte.

0.2.Hexenverfolgungen in Dieburg

Während der Hauptverfolgungswellen in Kurmainz 1595-1605, 1612 und 1627-29 kam es auch in Dieburg zu den schweren Verfolgungen, die in drei Abschnitte von 1596 bis 1599, von 1599 bis 1627 und von 1627 bis 1630 gegliedert werden können.

0.2.1.Hexenverfolgung in Dieburg: 1596 – 1599

Die Dieburger Hexenprozesse begannen durch einen Streit um eine gemeinsame Zufahrt und um die Ableitung der Abwässer der Anwesen des Zieglers Ewald Schütz und des Ratsverwandten Martin Stoffel. Nach sieben Jahren suchte Stoffel eine Lösung zu erreichen, indem er mit seinem Nachbarn Ewald Schütz aushandelte, die Grundstücke zu tauschen. Doch damit waren seine Frau Margaretha Schütz und ihre Tochter Christina Weickardt nicht einverstanden. Sie ließen sie ihrem Unmut Lauf und beschimpften Stoffel. Dieser nun glaubte, als er gesundheitliche Probleme hatte, verhext worden zu sein, zumal auch die konsultierten Frankfurter Ärzte keine Begründung finden konnten. Unverzüglich hatte er seine Nachbarin Margaretha in Verdacht, da sich kein Grund für sein Leiden finden ließ. Damit wandelte sich nun der Fall zu einer Hexenverfolgung. Stoffel, der als Mitglied des Rates erheblichen Einfluss im Ort besaß, bezichtigte nämlich bei der nächsten Gelegenheit Margaretha und Christina vor Zeugen der Zauberei. Stoffel fühlte sich in seinen Vermutungen, Opfer von Zauberei geworden zu sein, bestätigt, da sich beide Frauen nicht gegen die Vorwürfe zur Wehr setzten, um in der Öffentlichkeit ihre geschmälerte Ehre wiederherzustellen. Hinzu kam, dass andererseits die Schmerzen des Ratsherrn nun abklangen.

Seine Besserung führte aber keinesfalls dazu, sich von den geäußerten Vorwürfen zu distanzieren. Vielmehr forderte Stoffel in einer Eingabe vom 20. Juli 1596 an den Fauth von Dieburg Ludwig Schmid und den Keller Heinrich Neue rechtliche Schritte gegen Margarethe Schütz und Christina Weickardt. Damit wurde eine Untersuchung eingeleitet und weitere Zeugen gehört, da die mittlerweile eingeschalteten Aschaffenburger Räte weitere Indizien forderten. Diese brachten weitere Anschuldigungen, Gerüchte und Besagungen gegen Ewald Schütz, seine Frau und Tochter hervor.

Margaretha wurde mit sechs Fehlgeburten, bei denen sie Geburtshilfe geleistet hatte, in Verbindung gebracht. Hinzu kam, dass bereits Margarethas Mutter der Hexerei verdächtigt worden und im Gefängnis verstorben war. Ewald Schütz, als Alkoholiker bekannt, war durch öffentliche Aussagen, dass seine Tochter zaubern könne, aufgefallen. (Vgl. StA Mz 28/292 9-31; Pohl, Hexenverfolgung, S. 116-117). Da aber die Gegenüberstellung mit den Denunzianten am 2. Oktober keine Ergebnisse brachte, wurden sie aber auf Weisung der übergeordneten Behörde, der Räte der Regierung in Aschaffenburg, freigelassen. Das Intervenieren einer vorgesetzten Behörde hatte also eine Verfolgung verhindern könnte. Da die Räte in Aschaffenburg nun aber Unruhen in Dieburg fürchteten, wurden Margaretha Schütz und ihre Tochter des Landes verwiesen. Das weitere Schicksal von Margaretha Schütz ist unbekannt. Sie wurde 1597 als Eidbrecherin verhaftet, danach verliert sich ihre Spur. Von Christina Weickardt wissen wir jedoch, dass sie kein Auskommen außerhalb der Heimat fand, kehrte sie nach einiger Zeit zurück. Wir erfahren später von ihr lediglich, dass sie 1612 erneut verdächtigt und nun auch hingerichtet wurde.

Das Beispiel vermag eine ganze Reihe von für Hexenverfolgung wichtigen Elementen zu zeigen

  • Ausgangspunkt ist ein Nachbarschaftsstreit
  • Unterschiedliche soziale Stellung (Ziegler gegen Ratsherrn) führt dazu, dass die einflussreichere Person sich durchsetzen kann
  • Durch Stoffel wird mit Zeugen ein Ausschuss gebildet, der zum Beginn der Verfolgung führt
  • Die beginnende Verfolgung wird lediglich durch die übergeordnete Behörde, deren Angst vor Rebellionen deutlich wird, verhindert, da üble Nachrede nicht als Beweis angenommen wurde
  • Die Ausweisung der Angeklagten bedeutet für diese persönliche Verarmung, weswegen sie zurückkehren, obwohl sie sich der Gefahr der Hinrichtung aussetzen.

Zunächst kehrte 1596, wie wir gesehen haben, durch die Intervention der kurfürstlichen Behörde kurz Ruhe ein. 1597 ging ein Unwetter über den Eichwasen, dem von der Bevölkerung als Hexentanzplatz angenommenen Ort, nieder, was unmittelbar erneut zu Forderungen nach Verfolgung führte. Waren 1596 noch keine Opfer zu beklagen, so verhielt sich dies 1598 nun anders. Ohne Befehl der Aschaffenburger Regierung abzuwarten, begann der Keller mit den Verhaftungen, den Verhören und Gegenüberstellungen. Dies führte zum schnellen Anwachsen der Prozesse.

Die Opfer (vgl. Liste der Opfer) waren:

  • Emilia (Amalia), Adam Brauschen Frau († 1. April 1598)
  • Margareta, Michel Burcken Frau (freigelassen am 23. Juli 1598, 1612/13 hingerichtet -)
  • Endres Diez, der alte Seuhirt aus dem Minnefeld († 1. April 1598)
  • Lorenz Drachen (14) Frau (freigelassen am 21. April 1598, später hingerichtet)
  • Margreth, Hans Hecken Wittib († 27. Februar 1598), Schwester Annas von Münster
  • Barbara Herbert (freigelassen am 21. April 1598, später hingerichtet)
  • Die Keßlerin (freigelassen am 21. April 1598)
  • Jörg Mey, der Stump Naß, der Nasen Görg aus dem Minnefeld († 27. Februar 1598)
  • Magdalena, Caspar Müllers Frau (freigelassen am 16. Juli 1598)
  • Anna aus Münster , die Schweytzerin († 27. Februar 1598), Schwester Margreth Heckens
  • Catharina, Cunz Stahlbergers Wittib, die Heckenketter († 27. Februar 1598)
  • Apollonia Sturm († 27. Februar 1598), ca. 17 Jahre alt
  • Catharina, Conrad Sturms Wittib, der Raupenmacherin († 27. Februar 1598)
  • Christina, Velten Weickardts Frau, freigelassen nach dem 10. Juli 1598, Tochter von Ewald Schütz, 1612 hingerichtet
  • Catharina, Wendel Zincks Frau, die Nußketter († 1. April 1598), Schwester Barbara Herberts und Mutter Hans Zincks
  • ihre Tochter (Name ungenannt) floh nach Gernsheim

Das Handeln von Amtmann und Keller ohne Genehmigung durch den Kurfürsten führte zu Verstimmung. Besonders, da die Dieburger Adelsfamilie nur in der Mark, nicht in der Stadt an der hohen Blutgerichtsbarkeit Anteil haben durften und nun ihre Kompetenzen deutlich überschritten hatten. Dem Kurfürsten Wolfgang von Dalberg, der eine unkontrollierte Fortsetzung verhindern wollte, drohte nun den Ausschüssen mit bis zu 2000 Gulden Strafen, würden sie mir den Verfolgungen fortfahren. Dies zeigte die gewünschte Wirkung, da nun die Prozesse gegen die Verdächtigen Magdalena Müller und Margaretha Burken nicht mehr erneut aufgenommen und gegen die Bettlerin Anna Metz nicht begonnen wurde. Damit hatte sich noch einmal die kurfürstliche Obrigkeit gegen die lokalen Gewalten durchsetzen können.

0.2.2.Hexenverfolgung in Dieburg: 1599 - 1627

Die Prozesse von 1602/03, 1612 und 1613 lassen sich lediglich anhand der Akten von 1627 rekonstruieren, in denen die Vorgeschichte bis 1627 aufgezeichnet wurde.

Wie wir aus der „Wahrhafftige Zeitung.. Von etliche Hexen oder Unholden, welche man kürtzlich im Stifft Mäntz..verbrennt“ wissen, hatten Männer von wegen Hexerei angeklagten Frauen sich an der Kurfürsten gewandt. Da dann vermutlich ihr Gesuch abgelehnt wurde, hatten die Männer an den Galgen eine Schmähschrift gegen den Landesherrn annageln lassen. Sie wurden verhaftet und gefoltert und gestanden, angeblich geplant zu haben, den Kurfürsten zu ermorden. Hart ging jetzt die Obrigkeit gegen diese Unbotmäßigkeit vor: Die drei angeklagten Frauen wurden verbrannt, ihre Männer gevierteilt. Die Geschehnisse wirkten nach und noch 1653 wurde nachweislich von der harten Bestrafung gesprochen und als mahnendes Beispiel für Ungehorsam angesehen.

Der Bericht von 1627 liefert uns weitere Informationen zu den nachfolgenden Prozessen. 1602-1604 wurden mindestens vier Männer und zwei Frauen hingerichtet, 1612/13 ein Mann und fünfzehn Frauen und zwischen 1613 und 1627 fanden weitere Hexenprozesse statt, da 22 Prozesse zeitlich nicht zugeordnet werden können. Die Gesamtzahl der Opfer in dieser Zeit dürfte 44 betragen haben. In dieser Periode wurden auch Philipp Kremser, Ottilia Sponseil und Christine Bernhart angeklagt, wurden dann aber „zu gewöhnlicher ihrer Haushaltung remittiert“, also nach Hause entlassen.

0.3.Nachweise

Verfasser: Peter Murmann und Eva Dech

 
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