Das Genre „Literaturverfilmung“
Der Film „Der scharlachrote Buchstabe“ (1995) von Roland Joffé ist eine Literaturverfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Nathaniel Hawthorne aus dem Jahre 1850, der seit 1908 13 Mal verfilmt wurde. Literaturverfilmungen sind wichtig für die Übermittlung von klassischer oder moderner Literatur.[Anm. 1] Die filmische Umsetzung soll helfen, die Bücher vermehrt zu verkaufen.[Anm. 2] Film und Literatur bedingen sich gegenseitig: der Zuschauer soll das Verlangen haben, das Werk selbst zu lesen und der Leser soll das Bedürfnis haben, die bewegten Bilder zu sehen.[Anm. 3]
Literaturverfilmungen sind „Filmadaptionen von Erzählwerken und Dramen.“[Anm. 4] Sie sind sehr populär, weil sich Filmtechnik und literarische Technik oft entsprechen und ähneln.[Anm. 5] Als Vorlage dient eine imaginative Literatur, ein erzählender oder dramatischer Unterhaltungsstoff. Dies wird, so gut wie möglich, versucht umzusetzen. Der Film wird zur Neugestaltung des literarischen Stoffes. Beide erzählen eine Geschichte und geben dieser eine Bedeutung, nur jeweils mit ihren eigenen Mitteln.[Anm. 6]
Im folgenden werden ausgewählte Literaturverfilmungen besprochen:
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Filmindustrie literarische Erzählstrukturen zu übernehmen.[Anm. 7] Mit Literaturverfilmungen versuchte der Film den Status einer Kunstform zu erlangen.[Anm. 8] Die Formen und Inhalte der Literatur des 19. Jahrhunderts wurden übernommen, ohne dass es zu Brüchen oder Auseinadersetzungen kam.[Anm. 9]
Über die Leinwand kann eine Geschichte schneller vielen Menschen zugänglicher gemacht werden als es ein Buch sein kann.[Anm. 10] Filme helfen Autoren zu etablieren oder sie wieder in Erinnerung zu rufen.[Anm. 11] Unbekannte oder vergessene Werke sollen einem Publikum bekannt gemacht werden.[Anm. 12]
Literaturverfilmungen gibt es seit der Stummfilmzeit, aber es sind Entwicklungslinien zu erkennen. Diese sind abhängig von technischen Neuerungen und wandelnden Filmkonventionen, thematischen und strukturellen Entwicklungen in der Literatur, von den Marktbedingungen in Literatur und Film, der Rezeptionsgeschichte der Texte und den individuellen Absichten der Filmemacher.[Anm. 13] Während der literarische Text nur einen Urheber hat, arbeitet am Film ein Team zusammen.[Anm. 14]
Das Buch ist Vorlage oder dient zur Interpretation.[Anm. 15] Ausgangspunkt ist der Text, dessen Geist erhalten oder von dem sich abgekehrt wird. Der Film sollte die Aura der literarischen Werke übernehmen. Zuerst hat der Film die Aufgabe, einen Text zu illustrieren. Bei der Literaturverfilmung wird die literarische Vorlage in das Medium Film übertragen.[Anm. 16] Dabei wird ein primärer Text, die literarische Vorlage, zu einem sekundären, dem Film, umgewandelt.[Anm. 17]
Die Umsetzung kann unterschiedlicher Art sein: 1. die Aneignung des Rohstoffes des literarischen Werks oder die „transposition“, also die wörtliche Übersetzung des einen in das andere Mediums, dabei wird das wichtigste Handlungsgerüst übernommen; 2. die filmische Illustration des Buches oder der „commentary“, also die freie Übersetzung oder Übertragung, die mit Veränderungen verbunden ist; 3. die interpretierende Transformation oder die „analogy“, welche sich vom Original entfernt und um Aktualität bemüht, aber Anlehnungen an das literarische Werk hat.[Anm. 18]
Die Literaturverfilmungen werden meist unter dem Aspekt der Werktreue, d. h. der genauen visuellen Umsetzung des geschriebenen Textes, gesehen.[Anm. 19] Schon früh bestand das Bedürfnis, die literarische Vorlage getreu wiederzugeben, was zu sehr langen Filmen, die bis zu 4 Stunden gehen konnten, führte.[Anm. 20] Da die Sendezeit begrenzt ist, lässt sich die Literatur nicht übereinstimmend verfilmen.[Anm. 21] Die Unterhaltungs- und Spannungsmomente der literarischen Originale werden akzentuiert, um den ökonomischen Erfolg zu garantieren.[Anm. 22] Der Literaturfilm nimmt aus der Vorlage meist nur die kinoträchtigen Szenen.[Anm. 23] Es ist nicht möglich alles eins zu eins zu übernehmen, da es sonst die Länge des Filmes und somit die Aufmerksamkeit des Zuschauers „sprengen“ würde. Manche Gedanken, die im Buch ausführlich beschrieben werden, wirken aus dem Off nicht so wie in der literarischen Vorlage. Um eine Szenen oder Handlung zu beschreiben, benötigt der Autor mehrere Seiten, im Film wird daraus eine Szene.[Anm. 24] Meist bestimmen nur die Dialoge den Handlungsablauf des Films. Es gibt ein Dialog- und Handlungsgerüste, das den Rohstoff bildet.[Anm. 25] Der Film kann Aspekte sichtbar machen, die im Buch nur ansatzweise ausgeführt wurden.[Anm. 26] Im Film werden auch Sachverhalte dargestellt, die den Autor nicht oder nur wenig interessierten.[Anm. 27]
Die vagen Vorstellungsbilder im literarischen Text werden zu konkreten Bildern im Film.[Anm. 28] Literaturverfilmungen bringen die Geschichte, die nur im Kopf des Lesers stattfindet, in bewegten Bildern zum Leben.[Anm. 29] Der Leser möchte seine eigenen Interpretationen und gebildeten Phantasien bestätigt oder übertroffen wissen, wenn er ein verfilmtes Buch im Kino ansieht.[Anm. 30] Bei der Lektüre bildet sich der Leser eine Vorstellung über die Figuren und deren Bedeutung. Dieses Vorstellungsbild wird bei der Literaturverfilmung dem Wahrnehmungsbild gegenübergestellt. Der Eindruck, den man sich beim Lesen von Beschreibungen von Personen gemacht hat, kann durch die Auswahl der Schauspieler belastet werden. Man hat sich ein bestimmtes Bild gemacht, dem der Schauspieler nicht entspricht, weil er nicht nach Ähnlichkeit zur Romanfigur ausgesucht wurde, sondern nach Popularität, da der Film ein Massenpublikum anziehen soll. Ein bekannter Schauspieler kann den Zuschauer irritieren, wenn er sich vorher ein anderes Bild gemacht hat.[Anm. 31]
Der Zuschauer kann die Erzählzeit nicht, wie beim Lesen durch zurückblättern, pausieren, überlesen oder nachdenken, beeinflussen.[Anm. 32] Der Film ist flüchtig, während der Roman dauerhaft wirkt.[Anm. 33] Beim Lesen erscheinen Bilder im Kopf des Lesers. Die bewegten Bilder beim Film werden als optische Wahrnehmung zur Basis eines filmischen Denkens und sollen nicht die literarische Sprache bebildern.[Anm. 34]
Die Literatur wird nur als Vorlage oder Anreiz verwendet und kann nie werkgetreu realisiert werden, da nicht das Buch verfilmt wird, sondern der Gegenstand dessen.[Anm. 35] Kürzungen gelten immer noch als Unvollkommenheit.[Anm. 36] Manche Filme haben nur unbedeutende Bezugnahmen zum literarischen Original. Eine reine Bebilderung wird abgelehnt, da dann die filmischen Mittel nicht oder nur ungenügend umgesetzt werden.[Anm. 37]
Abbildungsnachweise
Teaserbild Der Scharlachrote Buchstabe:
- Autor: Ryan Baxter
- Lizenz: CC BY 2.0
- Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Filmreel4.jpg
Teaserbild Anna Göldin – Die letzte Hexe:
- Autor: Ryan Baxter
- Lizenz: CC BY 2.0
- Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Filmreel4.jpg
Anmerkungen:
- Weber, 1988, S. 18. Zurück
- Paech, 1988, S. 85. Zurück
- Paech, 1988, S. 91. Zurück
- Weber, 1988, S. 4. Zurück
- Weber, 1988, S. 6. Zurück
- Schneider, 1981, S. 13-19. Zurück
- Paech, 1988, S. 85-86. Zurück
- Schneider, 1981, S. 35. Zurück
- Paech, 1988, S. 86. Zurück
- Paech, 1988, S. 91. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 54; Schneider, 1981, S. 15. Zurück
- Schneider, 1981, S. 16, Fußnote 45. Zurück
- Weber, 1988, S. 13. Zurück
- Schneider, 1981, S. 7. Zurück
- Weber, 1988, S. 13. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 21-23. Zurück
- Schneider, 1981, S. 12. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 58-59; Weber, 1988, S. 13. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 21. Zurück
- Paech, 1988, S. 88. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 21 und S. 26. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 54. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 25. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 31. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 32-36. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 56. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 59. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 48. Zurück
- Paech, 1988, S. 91. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 21. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 46-48. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 33. Zurück
- Schneider, 1981, S. 5. Zurück
- Schmidt, 1988, S. 35. Zurück
- Goetsch, 1988, S. 60. Zurück
- Schneider, 1981, S. 18. Zurück
- Schneider, 1981, S. 293. Zurück