Hexenprozesse in Kurmainz

Analyse: Anna Göldin – Die letzte Hexe

Historische Hinführung

Der Film behandelt die Thematik der letzten „legalen“ Hinrichtung einer Hexe im europäischen Raum. Nachdem die letzten großen Verfolgungswellen in den deutschsprachigen Gebieten gegen Ende des 17. Jahrhunderts abgeflacht waren, schien die Epoche der Hexenverfolgung ihr Ende gefunden zu haben – aus diesem Grund war der Fall Anna Göldin von so großem öffentlichen Interesse.

Anna Göldin war die Tochter eines armen Bergbauern aus dem Züricher Sennewald. Als alleinstehende Frau verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt als herumreisende Magd bei verschiedenen Dienstherren. Ab 1780 arbeitete sie bei dem Arzt Dr. Tschudi in Glarus als Dienst- und Kindermädchen.

Als nach einem knappen Jahr Dienst die siebenjährige Tochter der Familie Anna Maria anfing in ihrer Morgenmilch Stecknadeln zu „finden“ wurde die Magd direkt verdächtigt und nach einigen weiteren dieser Vorfälle trotz Unschuldsbekundungen entlassen.

Das Kind stand jedoch trotzdem nicht mehr aus seinem Bett auf, hatte einen lahmen Fuß und spuckte unter großen Qualen immer wieder Stecknadeln, Nägel und andere Eisenstücke.

Da Dr. Tschudi auch Fünferrichter, das heißt Ratsmitglied, seiner Stadt war, bewirkte er, dass Anna Göldin aufgespürt, verhaftet und schließlich „peinlich verhört“ wurde. Unter dem Einfluss der Folter gestand die Magd, das Kind absichtlich und mit Hilfe eines „Leckerli“ verzaubert zu haben.

Am 18. Juni 1782 wurde sie durch den Henker öffentlich hingerichtet.

Der Kantonale Magistrat hatte sich während der Prozessführung über alle Gegenargumente hinweg gesetzt und eine juristische Verfahrensweise angewendet, die vom Hexenglauben der Ratsmitglieder und einer ebenso großen Selbstgefälligkeit geprägt war.

Schon bei den Zeitgenossen kam es zu heftiger Kritik an dem Prozess und dem Todesurteil. So schrieb zum Beispiel der Vorsteher der reformierten Kirche in Zürich Anistes Ulrich an den Glarner Pfarrer Tschudi:

„Ist es wahr, was das Gerüchte sagt, dass es zu Glarus Leute gibt, die in allem Ernst glauben und behaupten, dass eine gewisse Magd einem minderjährigen Kinde in seiner gewöhnlichen Speise eine große Menge Stecknadeln und eiserne Nägel, und was weiß ich, was noch mehr, beygebracht habe? Ist es wahr, dass auch Männer von Rang und Ansehen bey Ihnen sich von diesen albernen Gedanken haben einnehmen lassen?“[Anm. 1]

Doch im Gegensatz zur Hinrichtung der letzten deutschen Hexe im Jahr 1775 fand dieser Fall große Beachtung in der Öffentlichkeit.

Die „rückständigen“ Amtsmänner wurden von allen Seiten kritisiert und verspottet. In zahlreichen Gelehrten- und literarischen Zeitschriften erschienen satirische Glossen.[Anm. 2]

Analyse des Genres

Versucht man den Film „Anna Göldin - Letzte Hexe“ einem Genre zuzuordnen, so müssen zuerst die Merkmale des Films analysiert werden um sie danach mit der Definition der Genres zu vergleichen.

Zuerst lässt sich feststellen, das es sich bei dem Film „Anna Göldin – Letzte Hexe“ um eine Literaturverfilmung handelt.

Eine Literaturverfilmung ist ein auf einer literarischen Vorlage basierender Film.

Das Schriftstück ist meist ein Roman. Jedoch gibt es auch Verfilmungen aus Erzählungen, Kurzgeschichten, graphischen Novellen und ähnliches.[Anm. 3]

Als Vorlage diente in diesem Fall der, auf Tatsachen basierende, gleichnamige Roman von Eveline Hasler. Das Drehbuch für den Film ist von Gertrud Pinkus, die ebenfalls Regie führte, in Anlehnung an die Romanvorlage geschrieben worden.

Das Drehbuch für die Literaturverfilmung weicht meist von der Buchvorlage ab. Da ein Film kürzer und knapper erzählt werden muss, als es beispielsweise ein Roman zulässt, werden oft Handlungsstränge weggelassen oder vereinfacht. Genauso gut kann es vorkommen, dass wichtige Personen oder Dialoge, die in einem Buch vorkommen, in der Drehbuchversion erst gar nicht erscheinen.[Anm. 4]

Auch ist es häufig so, dass nur bestimmte Teilaspekte eines Romans umgesetzt werden, entweder weil andere Aspekte sich filmisch nicht realisieren lassen oder aus dramaturgischen Gründen: Filme funktionieren nach anderen Gesetzmäßigkeiten als Romane.

Betrachtet man weiterhin den inhaltlichen Verlauf des Films, der dem in der Romanvorlage weitestgehend entspricht, so fällt auf, das die erzählte Geschichte in Ihrem Ablauf dem Aufbau des klassischen Dramas entspricht.

  1. Exposition (Einleitung/Protase)
    • Die handelnden Personen werden eingeführt, der dramatische Konflikt kündigt sich an.
    • Im Film: Anna Göldin kommt nach Glarus und findet Anstellung bei der Familie Tschudi. Die Personen werden vorgestellt.
  2. Komplikation (Steigerung/Epitase)
    • Steigende Handlung – mit erregendem Moment (Katastase)
    • Die Situation verschärft sich.
    • Im Film: Die Probleme mit der jüngsten Tschudi-Tochter kündigen sich an, als das Kind während des Zusammenlebens mit Anna Göldin zunehmend okkulte Phantasien zu entwickeln scheint.
  3. Peripetie (Umkehr der Glücksumstände des Helden)
    • Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt (Klimax).
    • Im Film: Anna Göldin wird entlassen nachdem das Kind mehrmals Stecknadeln in seiner Milch fand.
  4. Retardation (Verlangsamung)
    • Fallende Handlung – mit retardierenden (aufschiebenden, hinhaltenden, verlangsamenden) Momenten
    • Die Handlung verlangsamt sich, um in einer Phase der höchsten Spannung auf die bevorstehende Katastrophe hinzuarbeiten.
    • Im Film: Anna Göldin verlässt Glarus und versteckt sich erst bei einer Verwandten und später unter falschem Namen in einer anderen Ortschaft. Währenddessen erhärten sich in Glarus die Verdachtsmomente gegen sie.
  5. Katastrophe oder Lysis/Dénouement
    • a) Es kommt zur Katastrophe oder b) Alle Konflikte werden gelöst
    • Im Film: Anna Göldin wird verhaftet und, nachdem sie unter Folter geständig war, hingerichtet.

Somit lässt sich der Film „Anna Göldin – Letzte Hexe“ formal eindeutig dem Genre Literaturverfilmung und inhaltlich dem Genre Drama zuordnen.

 

Julia Jacob, Julia Balser, Christian Harjes, Barbara Rave

Analyse der filmischen Umsetzung

Die Bergszenen als Gliederungselement:
Die Bergszenen betten das Geschehen in den mystischen Rahmen der Bergwelt ein.
Drei unterschiedliche Aufnahmen des gleichen Berges unterteilen den Film in drei Teile. Sie haben eine vorausdeutende Funktion. Die erste Bergszene zeigt den Berg im Sonnenaufgang. Ihr folgen Anna Göldins Ankunft in der Arztfamilie Tschudi und ihre Arbeit als Dienstmagd.
Die zweite Bergfrequenz mit ihren dunklen vorbeiziehenden Wolken lässt auf das bald heraufziehende Unheil schließen. Der dritten Szene, die den Berg im Sonnenuntergang zeigt, folgen Anna Göldins Folter und schließlich ihre Verurteilung.
Der „Schreiber“ als verbindendes Element: Hexenglaube vs. Fortschritt – Realität vs. Fiktion
Die Figur des Landschreibers führt durch den Film. Er arbeitet gleichzeitig im Gericht von Glarus und in der Textilfabrik, in der mit neuen Färbetechniken experimentiert wird. Dadurch wird der Kontrast zwischen der modernen fortschrittlichen Welt und dem rückständigen Hexen- und Zaubereiglauben dargestellt. Gleichzeitig wirkt er auch als verbindendes Element in einer Zeit des Aufbruchs.
Der Landschreiber ist eine authentische Figur, der durch das Zitieren der Prozessakten das damalige reale Geschehen mit der künstlerischen Freiheit in der filmischen Umsetzung verbindet.
Der Schlosser Steinmüller als kritische Kontrastfigur:
Der Schlosser Steinmüller ist ein aufgeklärter Freidenker, der ironisch die Rückständigkeit und Selbstgefälligkeit des Rats aufzeigt. Er spielt mit dem Hexenglauben der dörflichen Bevölkerung. Dies wird ihm schließlich zum Verhängnis, da der Rat die Ironie hinter seinen Bemerkungen nicht wahrhaben will. Die bei ihm gefundenen Bücher weisen auf die Aufklärung hin, deren Zeit aber in dem Schweizer Kanton noch nicht gekommen zu sein scheint.
Die Farbsymbolik als Leitmotiv – Die Farbe Rot
In den vier ausgesuchten Szenen dient die Farbe Rot als Gefahrensignal. Nach jeder Szene, in der auffällig die Farbe Rot gezeigt wird, verschlimmert sich die Situation der Anna Göldin. Gleichzeitig dient die Farbsymbolik als vorausdeutendes Element. Die Feuerszene zeigt die Phantasie des Mädchens und gibt einen Einblick in die Hexenvorstellungen dieser Zeit.
Die Szene, in der Anna ihre Haare rot färbt, spielt mit dem gängigen Hexenklischee. Außerdem deutet die rote Farbe an ihrem Hals auf ihre spätere Enthauptung hin.
Die letzte Frequenz, in der sich der Fluss durch das neue Färbemittel rot färbt, ist auch als Aufbruch in das neue Zeitalter der Moderne zu verstehen. Darüber hinaus steht sie in enger Verbindung mit dem Freitod des Schlossers Steinmüller.
Filmische Umsetzung, Kameraführung, Ton und Lichteinsatz
Die düsteren Szenen im Gefängnis dokumentieren immer wieder durch Nah- und Großaufnahmen von Anna Göldins Gesicht und Körper eindrucksvoll ihre Leiden und ihren Schmerz und so das Mitgefühl der Zuschauer an.
Der Toneinsatz (monotones Klopfen) sowie die düstere Musik unterstreichen die wachsende Bedrohung und die Ausweglosigkeit von Annas Situation.
In der Folterszene wird durch den punktuellen Einsatz von Licht die bedrohende Stimmung im Gefängnis verstärkt, da so die Mimik der Schauspielerin besonders hervorgehoben wird.
Das Licht wird gegensätzlich verwendet. Es strahlt der Kamera entgegen. Anna Göldin steht zwischen Licht und Kamera und ist daher nur schemenhaft zu erkennen, besonders nachdem ihr Kopf zur Seite gefallen ist und das Licht ungehindert in die Kamera leuchten kann.

Literatur

  • Behringer, Wolfgang: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland. München, 1995.
  • Hasler, Eveline: Anna Göldin – Letzte Hexe. Zürich/ Köln 1982.
  • Wimmer, Wolf: Zum Gedenken an Anna Göldi – Die letzte Hinrichtung einer „Hexe“ in Europa. In: JZ 1982.
  • http://www.nzz.ch/timeline/indexFlash.htm / Zugriff am 12.07.2006 (Unter der Jahreszahl 1782 findet sich das Inserat der Züricher Zeitung im Original mit Kommentar)
  • http://de.wikipedia.org/wiki/Literaturverfilmung / Zugriff am 12.07.2006

Anmerkungen:

  1. Hasler, Eveline: Anna Göldin – Letzte Hexe. Zürich/ Köln 1982. S. 215. Zurück
  2. Vgl.: Wimmer, Wolf: Zum Gedenken an Anna Göldi – Die letzte Hinrichtung einer „Hexe“ in Europa. In: JZ 1982, S. 551-553. Zurück
  3. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Literaturverfilmung / Zugriff am 12.07.2006 Zurück
  4. Ebd. Zurück
 
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